In den Westen – Normandie – Frühjahr 2023(DLBF 23_4)

In Oye Plage lernen wir, dass nicht nur Pisa mit einem schiefen Turm aufwarten kann. Ein Beobachtungsturm aus dem zweiten Weltkrieg ist in erhebliche Schieflage geraten und zählt jetzt zu einer fragwürdigen Sehenswürdigkeit von Oye Plage.

Wesentlich empfehlenswerter als Weltkriegsrelikte zu bestaunen, ist eine Wanderung durch die Dünen von Oye Plage. Selbst für Rollstuhlfahrer nutzbare hölzerne Wege führen durch die Dünen – rechts und links der Wege wächst und duftet wilder Rucola. Wir genießen erstmal den Spaziergang bis zum langen Sandstrand und wie man das als Urlauber so macht, sammeln wir Muschelschalen und prüfen – zumindest mit den Füssen – wie warm das Meerwasser schon ist. Unser subjektives Empfinden war, dass das Wasser sicher 16°C hatte und damit wärmer als die Luft war.

Auf einem der wenigen Stellplätze im Camping Oye Plage verbringen wir für kleines Geld eine ruhige Nacht und steuern durch Calais nach etwas längerer Fahrstrecke das Schloss und den Ort Hardelot an. In Frankreich ist der 8.Mai ein Feiertag, weil am 8. Mai 1945 der zweite Weltkrieg zu Ende ging und die Welt somit vom Nationalsozialismus befreit worden war. Viele Franzosen nutzen den Tag für Ausflüge aber das Schloss Hardelot bleibt wie an jedem Montag trotzdem geschlossen, so dass wir es nur von außen betrachten können und den liebevoll angelegten Garten genießen können.

Und weil wir dann schon mal mit unseren Fahrrädern unterwegs sind, sind wir gespannt, ob der Ort Hardelot  ebenso liebevoll angelegt ist. Reingefallen. Hardelot macht auf uns den Eindruck als sei hier ein Urlaubsresort mit wenig Geld und wenig Fingerspitzengefühl aus dem Boden gestampft worden. Es wurde weniger Wert auf ansprechende Architektur gelegt und mehr darauf, dass möglichst viele Appartements in der ersten Reihe an der Strandpromenade Meerblick haben, was dann zu Lasten der Gebäude in der Zweiten und dritten Reihe geht.

Nach dieser Erfahrung  folgen wir dem Rat eines Wohnmobilisten, den wir in Belgien getroffen hatten und der uns den Campingplatz in den Dünen empfohlen hatte. Tatsächlich stehen wir in den Dünen und haben von unserem erhöhten Sitzplatz im Rudolph freie Sicht aufs Meer. Interessiert beobachten wir wie enorm weit das Meer bei Ebbe am Abend zurückgewichen ist und hören dann die zurückgekommenen Wellen in der Nacht bei Flut kräftig rauschen.

Vom Dünencamping in Camiers sind es gerade mal 24 Kilometer bis zu den Robbenstränden (Plage de Phoques) bei Berck. In einiger Entfernung zum Strand parken wir bei einem Sportplatz und laufen in Richtung Strand. Je näher wir kommen, umso mehr Menschen bewegen sich wie wir in dieselbe Richtung. Es ist Mittagszeit und Ebbe. Jede Menge Robben räkeln sich auf den Sandbänken in der Sonne, manche wechseln auch mal den Platz nach einer kurzen Erfrischung im Meer.

Noch nie hatten wir so nah so viele Robben gesehen. Mit zurück kommender Flut wird eine Sandbank nach der anderen überschwemmt und die Robben verlegen ihren Mittagsschlaf immer wieder auf Sandbänke, die noch nicht überschwemmt sind. Nach knapp zwei Stunden sind fast alle Sandbänke unter Wasser, die Robben sind soweit gewandert, dass man sie kaum noch sehen kann und damit ist die Attraktion vorbei. Die „professionellen“ Robbenbeobachter packen ihren Riesenobjektive, die auf ebenso riesigen Stativen stecken, wieder ein und verschwinden wie die Robben. Oberhalb von Le Treport, dem Städtchen mit den 3 Häfen, soll es einen Stellplatz mit Panoramablick geben. Das ist fast richtig, denn bis zum Rand der Klippen sind es noch ein paar Meter aber dennoch ist das Panorama nicht weit.

Und was noch attraktiver ist, ist der Funiculaire, eine gläserne Standseilbahn, mit der man vom Panoramaplatz in die Altstadt hinunterfahren kann.

Und genau das tun wir, schlendern durch die Gassen und bleiben erstmal in der Fischhalle hängen. Eine große Auswahl von frischem Fisch, Krustentieren, Muscheln und Schnecken wird auch noch in der letzten halben Stunde der Öffnungszeit angeboten. Die Restaurants am Hafen machen ab 18.00 Uhr eines nach dem anderen auf und wir wollen jetzt einmal typisch französisch essen gehen. Es gibt Muscheln in feiner Soße und eine Auswahl von 5 verschiedenen Fischen und Krustentieren in einer SahnesoßeGenau genommen, war es das erste Mal für mich, dass ich frische Muscheln gegessen hatte.

Die nächste Sehenswürdigkeit soll die Stadt Rouen mit ihrer Kathedrale sein. Die Location „Stadt“ und Rudolph sind oftmals eine Kombination, die zu nicht einfach zu lösenden Parkplatzproblemen führt. Laut unserer App soll es am Kai entlang Parkplätze geben, die eventuell auch für Wohnmobile geeignet sind. Genau an diese Stelle hinzukommen, ist zwar nicht ganz einfach aber tatsächlich ist in der langen Schlange der parkenden Autos genau ein Parkplatz frei, in den Rudolph auch hineinpasst. Der Parkplatz liegt nur wenige hundert Meter zur Innenstadt, in der auch der Uhrturm zu finden ist, entfernt. Wir marschieren los, landen in einem kleinen Park und dann vor der imposanten Kathedrale. In einem Café lernen wir  nicht nur, was ein Cafe Gourmand ist, sondern auch, dass Apfelsorbet mit Calvados ausgesprochen lecker ist und danach verlangt, mindestens eine Flasche Calvados von der Reise mit nach Hause zu bringen.

Tatsächlich finden wir im Berufsverkehr auch wieder aus dem Großstadtdschungel von Rouen  heraus und steuern entlang der Seine Jumiege an, das mit der Abtei Jumiege, (teilweise bereits Ruine) aufwartet. Als wir unseren Übernachtungsplatz erreichen und dann ein paar hundert Meter zurück ins Dorf zur Abtei laufen, müssen wir dort feststellen, dass die Anlage für heute schon geschlossen hat. Nichtsdestotrotz können wir die imposanten Mauern auch von der Straße aus in der Abendsonne fotografieren – wir sind damit auch zufrieden und verzichten auf einen Intensivbesuch am nächsten Tag.

Irgendwann müssen wir die Seine in Richtung Süden überqueren und schlagen die Richtung zur Pont de Normandie ein. Bevor wir über das schwer beeindruckende Bauwerk rollen können, überqueren wir erst noch die Pont de Brotonne – ebenfalls eine riesige Hängebrücke.

Auf der Route de Chaumiers – Chaumiers sind kleine typische Häuschen mit einem reetgedeckten Dach – geht es weiter Richtung Westen. Auf kleinen und teilweise engen Straßen, halten wir immer wieder an, um die pittoresken Häuschen zu fotografieren. Bei einem Stopp werden wir sogar gefragt, ob wir das Haus, vor dem wir gerade stehen, kaufen wollen. Es ist zwar zu verkaufen aber kein Chaumier – also lehnen wir nicht nur aus diesem Grund ab. Immer weiter geht es die Seine entlang. In Alzier machen wir trotz Regen nochmals einen Fotostopp für die schönen Häuser, weil wir ja nicht wissen, dass das nächste Dorf an der Ministraße, Vieux Port, wie ein reines Museumsdorf wirkt, bei dem es nur reetgedeckte Häuschen gibt.

Leider gibt es auch jede Menge Schilder, die das Parken von Fahrzeugen über 3,5t untersagen, so dass wir die Schönheiten aus dem Fenster fotografieren. Danach weichen die beschaulichen Häuschen den Raffinerien und Industrieanlagen. Bei Regen laufen wir auf einem Stellplatz in Quillebeuf ein. Zum Wasser tanken braucht man hier Jetons, die man ein paar hundert Meter weiter in einem Laden bekommen kann. Bei strömendem Regen beschließen wir nicht nur, keine Jetons zu holen, sondern auch weiterzufahren in Richtung Le Havre. Im Port Jerome nehmen wir die kostenlose Fähre über die Seine, damit wir auf der kostenpflichtigen Pont de Normandie später wieder auf die Südseite der Seine kommen können.

Aber zunächst geht es nochmals ein Stück in Richtung Norden zum Touristenmagneten Etretat. Halb Frankreich scheint sich an diesem Tag vorgenommen zu haben, Etretat zu besuchen. Parkplatz für Rudolph – Fehlanzeige. Aber so schnell geben wir nicht auf und fahren knapp drei Kilometer bis zum nächsten Dorf, in dem ganz locker ein Parkplatz zu finden ist. Wir packen unsere Räder aus und lassen uns von der viel gelobten Tourenapp Komoot eine Fahrradroute nach Etretat zeigen. Zuerst geht es immer weiter nach unten bis zu einem Strand.

Von dort aus bietet die App einen Pfad nach Etretat an, der bestenfalls von sehr geländegängigen und mutigen Eseln bezwungen werden kann. Für Fahrräder in keinster Weise geeignet. Also zurück zur Hauptstraße und rein nach Etretat – kein Problem mit dem Fahrrad. An der Strandpromenade findet sich so ziemlich jedes Business, das Touristen erfreut. Es werden Andenken, lokale Spezialitäten wie Calvados oder Cidre, Eis, Crepes, Muscheln etc. verkauft. Wir können uns nur schwer vorstellen, wie ungleich größer der Trubel sein kann, wenn es Richtung Hochsaison geht. Wir schlendern den Strand entlang, fotografieren das große Felsentor und ein paar schmucke Gässchen. Dann machen wir uns wieder auf den Weg in das absolut ruhige Dorf, in dem unser Rudolph steht.

Oberhalb vom neuen Hafen von Saint Jouin Bruneval übernachten wir auf einem ruhigen kostenlosen Plätzchen, nachdem wir in den Hafen heruntergelaufen waren und auf der Terrasse eines Restaurants in der Abendsonne gegessen hatten. Auch der neue Hafen ist mit einem riesigen – im Moment noch leeren Parkplatz – für Touristenmassen in der Hochsaison ausgelegt. Der Strand ist recht einladend; einzig der Duft von Rohöl, das offenbar in diesem Hafen angelandet wird, ist doch so gut wie allgegenwärtig und lässt die Strandromantik nicht vollständig aufkommen.