Einsamkeit versus Skitrubel (Schweden 2021_2)

Der Hinweis auf ein ‚Hembygdsgard‘ kann bedeuten, dass am Ziel eine mehr oder weniger verfallene Holzhütte, die vielleicht früher mal eine Getreidespeicher war, vorzufinden ist aber es kann auch sein, dass man einen kompletten Gutshof aus alter Zeit vorfindet (ähnlich einem Freilandmuseum). Wir finden ein Ensemble von Gebäuden vor, das irgendwie zwischen den beiden Extremen liegt. Eine Scheune ein Wohnhaus, eine Art Säge, ein Saunahäuschen im Hintergrund und – versteckt hinter einem Haus – ein Gerät, das so aussieht als hätte hier jemand irgendwann mal Schnaps destilliert. Das zur Kaffestuga (=Kaffeehütte) umfunktionierte Gebäude ist an einem Montag natürlich geschlossen. Die lieblichen roten Häuschen findet man ein paar Kilometer südlich von Grythyttan an der B205.

Dass die Schweden das Alte lieben, etwas verspielt sind und selbst bei etwas so Profanem wie einem Briefkasten oftmals Phantasie walten lassen, kann man entlang der Straße bewundern, denn auch die unterschiedlich designten Briefkästen der weiter entfernt liegenden Häuser sind im Allgemeinen alle an der Hauptstraße versammelt und erleichtern so dem Postboten die Arbeit.

Der Hinweis auf eine Silbergruvan, also einem Silberbergwerk, lockt uns von der B63 in den Wald. Ein paar höhlenähnliche Eingänge zum Bergwerk sind noch vorhanden, einige Teile der Grube haben sich mit Wasser gefüllt und ein verwitterter Anschlag erklärt, dass hier über lange Jahre gebuddelt wurde und nicht nur Silber, sondern insbesondere auch Eisen und Blei abgebaut wurde. Das Ganze hatte sich schon vor mehreren hundert Jahren abgespielt (genau Zeit habe ich leider vergessen).

Ein ‚Herrgard‘ weist auf einen Herrensitz hin. Damit wiederum kann ein etwas größeres Haus oder ein richtiges Schlösschen mit Park gemeint sein. Als wir dem Hinweis folgen, finden wir eine Art Unternehmervilla und eines der letzten Gebäude einer Eisenverhüttungsstätte mit Fabrikationsgebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert. Der Unternehmer Myhrman  hatte die Eisenerzhütte Rämens Bruk aus dem Jahr 1649 übernommen und hier eine Produktion von eisernen Kochtöpfen begonnen. Alles, was mechanisch war, wurde mit Wasserkraft angetrieben. Das hölzerne Mühlhäuschen ist schon reichlich windschief, die Reste des aus massiven Felssteinen zusammengebauten Ofens stehen noch. 

Nach so viel Industriekultur genehmigen wir uns wieder eine Kaffee- und Badepause und treffen eine Familie, die aus der Nähe unseres Wohnortes stammt, mit Kanus unterwegs ist und – man glaubt es kaum – auch noch Bekannte von uns gut kennt. Die Welt ist groß und doch so klein.

Wir passieren später auf unserem Weg einen Friedhof und stellen erneut fest, dass selbst schwedische Friedhöfe eine gewisse Gelassenheit ausstrahlen.

Am Holmsjö suchen wir uns in einer kleinen Bucht ein Plätzchen zum Übernachten und genießen den Sonnenuntergang, denn der Wetterbericht rät, noch jeden Sonnenstrahl zu genießen – am nächsten Morgen können wir sogar noch einmal schwimmen gehen.

Danach zieht der Himmel zu und es beginnt zu nieseln. Das passt auch irgendwie zu den im Sommer verlassenen Skisportstätten. Auf einem aufgeblasenen Kissen unterhalb einer Sprungschanze kommt ab und zu mal ein Sommerskisprungsportler angeflogen und purzelt dann die letzten Meter Hals über Kopf weiter. Ganz ohne Schnee und Zuschauer sieht das irgendwie seltsam aus.

Beim Ort Sälen beginnt im Winter das Langlaufspektakel mit mehreren tausend Teilnehmern – der Wasalauf. Heute im Nieselregen ist außer uns gerade noch ein zweites Wohnmobil vor Ort. Die Beifahrerin fotografiert wie auch wir das Schild am Startpunkt des Wasalaufs.

Und dann wieder ab ins warme und trockene  Wohnmobil und auf nach Sälen, dem Zentrum des Wintersports in dieser Gegend. Verlassen warten die Schneekanonen auf einem öden Lagerplatz auf ihren nächsten Einsatz,  die Hotelpaläste warten ebenso verlassen und trist wie das Förderband, das die Skifahrer in einem Glastunnel zum nächsten Lift bringen soll, auf die Wintersportgäste der nächsten Saison.

Wir möchten uns gar nicht vorstellen, welcher Trubel dann hier herrscht. Aber die fast menschenleere, wenig romantisch wirkende Stadt lädt uns nicht gerade zum Verweilen ein, obwohl das Schild mit Schneefrau und Kind uns schmunzeln lassen.

Also düsen – nein tuckern wir weiter – auf der Suche nach einem schönen Platz für die Nacht. Ein super Grillplatz am Fuluälf könnte ideal sein. Mehrere Bunker aus dem zweiten Weltkrieg sind nur wenige hundert Meter am Fluss entlang unter Gestrüpp zu finden. Die Bunker sind zugemauert. Ein Angler erzählt uns, dass hier zwar nicht die Grenze nach Norwegen ist aber der Fluss eine natürliche Grenze bildete und insbesondere die erste Möglichkeit war, den Feind ungetarnt zu entdecken.

Trotz der interessanten Infos fällt uns auf, dass die nahe Straße doch recht befahren ist. Also ist der Platz kurz vor Fulunäs nichts für gute Nachtruhe; knapp zwei Kilometer weiter, ebenfalls am Fluss, ist es mindestens ebenso schön und nahezu völlig ruhig.

Es bleibt zwar trocken aber von richtig schönem Wetter kann auch am nächsten Morgen nicht die Rede sein. Die kleinen Waldstraßen sind zum Glück in den Navikarten enthalten, denn bei den teilweise abenteuerlich verrosteten Wegweisern wären wir uns über den richtigen Weg nicht sicher.

Rechts und links der Straße wächst immer wieder das weißlich grüne Moss, das aus Skandinavien auch nach Deutschland exportiert wird, um dort als Schmuck auf Grabgestecken zu dienen.

Positiver Aspekt des feuchteren Wetters ist, dass sich jetzt auch die Pilze herauswagen und somit auf unsere Speisekarte gesetzt werden.

Unser Nachmittagspäuschen am Fluss wird unerwartet zur Sensation des Tages. Eine Elchmama kommt mit zwei Jungen am gegenüberliegenden Flussufer zum Trinken. Jetzt gibt’s für Almut kein Zurückhalten mehr: Raus trotz Nieselregen und fotografieren so gut es geht. Ich kann Almut zwar nicht mehr sehen aber durch die Elchmama orten; denn die Elchohren sind immer in Richtung der Fotografin ausgerichtet.

Nach diesem sensationellen Ereignis bleibt für mich an diesem Tag nur noch die Zubereitung unserer Pilzbeute an einem Picknikplatz am Fluss Storan übrig.

Immer wieder fallen uns Bäume mit Flechten auf – ein Zeichen für besonders saubere Luft. Eigentlich kein Wunder bei wenig Industrie, wenig Verkehr und unendlich vielen Bäumen.

Durch den geringen Verkehr fühlen sich auch die Rentiere auf den Straßen relativ sicher.

Der nächste Tag wird der Tag der Höhensuperlative. Zunächst fahren wir zu Schwedens höchstgelegenem Dorf ‚Högvalen‘. Es liegt auf 830m Höhe. Das mag zunächst wenig erscheinen aber in Schweden sind die Berge nun mal nicht wesentlich höher und auf 800m Höhe herrscht hier bereits eine Vegetation und ein Klima wie in den Alpen auf ca. 1700m; die Baumgrenze liegt hier bei 900m.

Wir steuern in Richtung Funäsdalen, passieren dabei ein mit Gras und Rinde gedecktes Samihaus und biegen nach Funäsdalen auf die Hochfjällstraße zum Flatruet ab.

Flatruet wiederum ist der höchste Straßenpunkt Schwedens mit 975m, wie uns die Aufschrift auf einer grabsteinähnlichen Felsplatte wissen lässt. Um die Steinplatte herum haben Besucher Steinbrocken mit ihren Namen beschriftet; eine Art steinernes Gipfelbuch.

Hier oben wachsen noch ein paar Moltebeeren, die berauschende schwarze Krähenbeere, Wollgras und ein paar andere Pflanzen und Flechten, die für harte Winter gut gerüstet sind. Moltebeeren sollen bei bis zu -38°C überleben können.

Auf der Hochebene wollen wir eine Nacht bleiben und die Sternenpracht erleben. Sterne gibt’s genug aber leider haben sich Wolken zwischen uns und die Sterne geschoben. Am nächsten Morgen steigen die Nebel an den Bergrücken auf – hier ist es auf alle Fälle schon richtig herbstlich; die Temperaturen sinken in der Nacht auf 9°C; wir freuen uns über die Dieselheizung in unserem Rudolph.

Das Wetter hat sich beruhigt und so genießen wir die Tundra ähnliche Landschaft in 700m bis 800m Höhe. Wir kommen zu einem Museumsdorf mit historischen Almhütten. Genau genommen fahren wir schon eine Zeitlang auf dem Almenweg und halten immer wieder für Photostopps an  verwitterten Hütten – na und dabei finden wir natürlich meistens auch Preiselbeeren und Heidelbeeren und immer wieder Pilze – eigentlich wie im Schlaraffenland.Nahe des Almhüttendorfes übernachten wir – die in der Abendsonne aufziehenden dunklen Wolken sind zwar sehr fotogen, verheißen aber nichts Gutes.

In der Nacht prasselt es reichlich auf unser Dach und auch am nächsten Tag will der Regen nicht wirklich aufhören. Wir können natürlich nicht erwarten, dass ständig schönes Wetter herrscht und die Flora trotzdem frisch und grün ist nur weil wir auf Reisen sind. Also folgen wir auf dem weiteren Weg nur dem Hinweis auf eine Fisktrappa. Das ist eine treppenähnliche Aufstiegshilfe für Fische, die das Wehr an einer kleinen Kraftwerksstation sonst nicht überwinden könnten. Auf einer Tafel sind Jahr für Jahr sowohl die Anzahl der Treppenbenutzer als auch deren durchschnittliche Gewichte vermerkt. 2021 waren es bislang 1390 Fische, die schwerste Forelle wog immerhin überraschende 7kg.

Am Storsjön trudeln wir bei einem Technikmuseum am Nachmittag auf einem Stellplatz ein. Ein Mann spricht uns in gutem Deutsch an und erklärt uns, dass es auch ein Hafencafe gibt, das allerdings in einer Stunde schließen wird und zwar nicht nur für den heutigen Tag, sondern für das Jahr 2021. Die Schulferien in Schweden haben am 16.08. geendet – die Saison ist beendet. Als letzte Gäste der Saison leisten wir uns noch einen Kaffee im vollständig verglasten Hafencafe mit Blick auf das Dampfschiff Östersund, das im Jahr 1874 gebaut wurde, mit Holz befeuert wird und im Sommer zu Ausflugsfahrten einlädt. Auf dem Schiff gibt es Speisen und Getränke – und auch Alkohol, wie uns der ältere Mann voller Stolz berichtet.

Mittlerweile regnet es nicht mehr und drei Stunden später verabschiedet sich der Tag mit einem herrlichen Sonnenuntergang. Bei jedem Foto denken wir, dass die Beleuchtung jetzt nicht mehr besser werden kann aber die Natur legt immer wieder an Schönheit zu und so steigt die Anzahl an Schnappschüssen kontinuierlich an.