Nordkapp kann jeder – Norwegen (Skandinavien 2022 Teil 4)

Wir verabschieden uns von unserer Nachbarmöwe und dem überdimensionalen (wahrscheinlich namensgebenden) Metallfisch am Ortausgang, nutzen die vorzügliche und kostenlose Ver- und Entsorgungsstation, umrunden den Vanylvsfjord und steuern auf einer Halbinsel in Richtung Vestkapp.

Vom Nordkapp weiß man, dass man dort einmal gewesen sein muss – warum eigentlich? Meistens hüllt sich das Nordkapp in Nebel und beschränkt die Aussicht und letztlich ist es ein großer Parkplatz. Daher wollen wir herausfinden, wie es um das Vestkapp steht, von dem ich noch nie gehört hatte.

Das Wetter ist einigermaßen trüb aber trocken, wir biegen in die kleine, steile Bergstraße ab, die laut Wegweiser zum Vestkapp führt. Rudolph gibt sein Bestes, um den Parkplatz am Restaurant mit Panoramafenstern zu erreichen. Am Restaurant angekommen, stehen wir im Nebel mit nur 10m Sichtweite – also wie am Nordkapp.

Wenige Minuten trotzen wir Nebel, Wind und Kälte (4°C) und genießen den ‚spektakulären Rundumblick‘. Nichts wie weg entscheiden wir und lassen uns mit lauter Motorbremse wieder nach unten bis zur Hauptstraße rollen. Wir biegen zum letzten Dorf an der Straße, nach Honningsvag ab. Selbst das Dorf hat denselben Namen wie das letzte Dorf vorm Nordkapp. Da wir wieder unterhalb des Nebels sind, legen wir einen kurzen Stopp auf einem Parkplatz mit Sicht auf Honningsvag ein. Wir hören tierische Pfiffe und Schreie. Das sind doch Adler. Tatsächlich kreisen mehrere Adler, die offenbar irgendwo in der Felswand wohnen über uns. Mit voll ausgefahrenem Zoomobjektiv fangen wir sie in unserer Kamera ein.

Das war ein tolles Erlebnis nach dem ‚Panoramadebakel‘. Auf einem Minicampingplatz, der von Schweizern geführt wird und nur wenige Kilometer vom Vestkapp entfernt ist, beziehen wir unser Nachtquartier. Es gibt Schafe, Ziegen, Lamas und einen aufmerksamen Hund. Die kleinen Lämmer bekommen noch das Fläschchen, wobei Almut freudig mithilft und ich alles mit der Kamera festhalte. Wann hat man schon einmal Gelegenheit, selbst kleine Lämmer zu füttern.

Am nächsten Morgen trauen wir unseren Augen kaum – strahlend blauer Himmel, die weiße Kuppel, das Wahrzeichen des Vestkapps, die wir im Nebel noch gar nicht gesehen hatten, ist selbst von hier unten erkennbar. Also gibt es Frühstück in der Sonne und danach nochmals eine Fahrt auf der kleinen Straße bis zum Parkplatz am Restaurant.

Es ist Pfingstsonntag, das Restaurant wird erst um 12.00 Uhr öffnen und daher ist der Parkplatz bis auf ein weiteres Fahrzeug noch leer. Der Rundumblick ist bei diesem Sonntagswetter wirklich phänomenal. Wenn man nach Westen blickt, kommt laut Landkarte außer Wasser nichts mehr, bis man im Süden von Grönland ankommt. Ein tolles Erlebnis.

Auf der Weiterfahrt wird auf mehreren knallig bunten Schildern mitten in der Landschaft Bella’s Thai Mat angekündigt. Wir biegen in das Grundstück zum Imbisstand ein und lernen von Bella, dass auch Prinz Haakan schon bei Ihr gegessen hat – ganz ohne Leibwächter. Bellas Essen ist übrigens durchaus zu empfehlen.

Das nächste Highlight ist die Fahrt auf der RV15, dem Strynevegen. Nach den ersten Kehren erreicht man den Oystebrufoss an einem Parkplatz, von dem ein kleiner Pfad mit Geländer zu der besten Aussicht auf den laut herabtosenden Wasserfall führt.

Die 258 – also der alte Strynevegen über das Fjell – würde kurz danach abzweigen, ist aber leider wegen noch andauernder Wintersperre nicht befahrbar. Auf der RV15 geht’s durch mehrere kilometerlange Tunnel durch den Berg bis zur Abzweigung der 63, die zum Geirangerfjord hinunter und zum Nibbevegen auf den 1476m hohen Aussichtsberg Dalsnibba hinaufführt. Die Sonne scheint strahlend, so dass wir uns für den Aussichtsberg entscheiden. Die Straße ist gebührenpflichtig, so dass wir für den Genuss einer aus dem Schnee gefrästen Straße und den Panoramablick um 27.—Euro erleichtert werden. Aber ehrlich gesagt, ist die Straße außerordentlich ansprechend und die Aussicht vom  Dalsnibba auf den 7km entfernten Geirangerfjord, in dem sich immer ein paar Kreuzfahrtschiffe tummeln, ist wirklich überwältigend.

Das nächste Highlight wartet schon auf uns – eine gerade heruntergekommene Lawine hat die Zufahrt der 63 zurück zur RV15 versperrt. Etwa 25 Fahrzeuge vor uns ist die Straße mit Schneemassen zugeschüttet. Wir drehen um – ja das geht mit dem Rudolph auch auf kleineren Straßen – und fahren zurück zur Abzweigung des Nibbevegens. Über den Geirangerfjord auszuweichen macht keinen Sinn, weil der Weg uns einen zu langen Umweg bescheren würde. Also versuchen wir herauszufinden, ob und wann die Lawine geräumt sein würde. Das Statens Vegvesen, die Straßenverkehrsgesellschaft – so sagt man uns – veröffentlicht jeweils Updates zu allen Störungsmeldungen im Internet. Aber eben nicht hier an unserem Aufenthaltsort. Anders als fast überall in Norwegen, gibt es hier vor dem Hotel weder Telefon- noch Internetempfang. Also warten wir geduldig, bis ein Arbeiter, der seinen Feiertagsurlaub unterbrechen muss, auftaucht und sich mit einem mit Schneeketten bewehrten Radlader auf den Weg zur Lawine macht. Nach knapp 3 Stunden ist der Spuk vorbei und wir können die frei geräumte Straße wieder passieren, um zurück auf die RV15 zu kommen.

Am Billingen Pensjonat, dass im vorvorigen Jahrhundert eine Käserei war, finden wir an einem Wildwasserfluss einen wunderschönen Übernachtungsplatz. Am nächsten Morgen unternehmen wir eine Wanderung zu einer alten Holzbrücke, die auch schon um 1600 existiert hatte, dann aber vor ca. 30 Jahren zusammengebrochen ist und vor 15 Jahren originalgetreue wieder aufgebaut worden war.

Von einer früheren Reise erinnern wir uns, dass ein Stück weiter unten an der RV15 der Pollfoss (Wasserfall) auftauchen müsste. Dazu gehört auch ein Hotel, das außen wie drinnen wie aus dem Jahre 1900 anmutet.

Das Hotel hat geöffnet, die Außenterrasse wird gerade renoviert; also beschränken wir uns auf einen kurzen Blick in das Hotelinnere und schießen ein paar Bilder.

Wieder ein Stück weiter auf der RV15 erscheint uns an den Donfoss Stromschnellen ein riesiger Campingplatz auf den Felsen direkt am Fluss mit Swimmingpool und Dachterrasse erwähnens- und fotografierenswert. Hier sind wir schon wieder soweit hinuntergefahren, dass die Blätter an den Bäumen wieder normale Grüße haben.

Die Straße RV55 zweigt in Lom von der RV15 ab, heißt mit bürgerlichem Namen Sognjefjellsvegen und ist Nordeuropas höchste Passstraße mit einer Höhe von 1434m. Das klingt nicht besonders berauschend aber man sollte dazu wissen, dass die Vegetation auf dieser Höhe hier im Norden in etwa einer Höhe von 2500m in den Alpen entspricht. Die Straße beginnt in lieblicher Landschaft und führt uns zunächst zur Elveseter (das ist die Elfenalm) und einer riesigen Steinsäule mit eingemeißelten Bildern aus der Sagenwelt. Es handelt sich um die Wilhelm Rasmussen Sagensäule direkt bei der Elfenalm.

Einige Kilometer weiter auf 1071m Höhe folgen wir dem Hinweis auf einen Aussichtspunkt an der Jotunheimen Fjellstube.

Auf 1409m Höhe zeigen Skilangläufer ihr Können. Wir vermuten, dass es sich eventuell um Sportler aus der Nationalmannschaft handelte, da vor dem Sognefjells-Skicenter auch ein Mannschaftsbus und ein Kamerawagen zu finden war. 

Letztendlich kommen wir auf 1400m Höhe zum Ende unserer Tour für diesen Tag und quasseln – zunächst in der warmen Abendsonne, dann eingehüllt in dicker Jacke, mit anderen Reisenden bis spät am Abend bei ein paar Bierchen bis es uns um 23.00Uhr bei 10°C etwas zu frisch wird und wir gerne in den beheizten Rudolph umsteigen.

Am nächsten Morgen ist von der Sonne nichts mehr übrig, ein Mitarbeiter der Berghüttenbetreuung macht sich mit seinem Skidoo auf den Weg zur Arbeit und wir tuckern weiter zwischen Schneewänden die RV55 hinunter bis zum Abzweig zum Tindevegen.

Der Tindevegen ist eine Mautstraße, die vom Sognefjell über einen weiteren Passübergang nach Oevre Ardal führt. Die Straße ist relativ klein aber gut befahrbar. Auf der Passhöhe fragt uns der Fahrer eines entgegenkommenden Wohnmobils, ob die Straße in gutem Zustand und gut befahrbar ist. Natürlich bejahen wir und erst auf den letzten Kilometern kurz vor Oevre Ardal verstehen wir, warum er gefragt hatte.

Am Ende des Tindevegens reiht sich eine steile und enge Kehre an die andere und fordert das fahrerische Können schon etwas heraus. Noch bevor wir ganz unten in Oevre Ardal angekommen sind, füllen wir unsere Trinkwasservorräte mit reinstem Bergwasser (getestet!!!) auf und schwenken dann ins Utladal, um uns bei ein paar Fotos vom Hjellefoss den feuchten Nebel des Wasserfalls nicht nur um die Nase wehen zu lassen.