In den Westen – Bretagne – Frühjahr 2023 (DLBF 23_7)

Wir erinnern uns: Rudolph wollte plötzlich neues Öl haben und ich hatte die Kontrollmeldung als unbegründet eingestuft. Irgendwie grüble ich immer weiter über das Problem nach und kann nicht glauben, dass fehlender Öldruck (der ja zu schweren Motorschäden führen kann und auch eine Fahrt von 60km wahrscheinlich nicht zugelassen hätte) sich nur mit einer höflichen Meldung zum Ölwechseln meldet. Mehrere MByte Recherche im Internet überzeugen mich, dass es sich wohl nur um eine nicht zurück gesetzte Serviceanzeige handelt. Und siehe da, ich finde sogar eine Vorgehensweise, wie man selbst und ohne Diagnosecomputer, die Serviceanzeige resetten kann.

Ob diese Aktion irgendwelche negativen Auswirkungen nach sich zieht, probieren wir auf einem Ausflug am nächsten Tag aus. Aber zunächst soll Rudolph ausruhen und wir wollen Morlaix erkunden. Um die Pointe schon einmal vorwegzunehmen: Seit dem Resetten  gab es auf den nächsten fast 3000km  bis nach Hause noch keine weiteren Warnmeldungen und Rudolph fährt wie ein junger Gott. Also war alle Aufregung umsonst gewesen.

Zur Erkundung von Morlaix radeln wir vom Campingplatz auf der Streuobstwiese in die Stadt. Das Erste, was uns auffällt ist, dass künstlerisches Graffiti hier wohl nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht ist. Einige Brückenpfeiler sind so künstlerisch besprüht oder vielleicht sogar bemalt, dass selbst Albrecht Dürer neidisch geworden wäre und in der Stadt selbst arbeitet ein Künstler auf einer Hebebühne schon am nächsten Kunstwerk an einer Hausfassade.

Auch die Gartenarchitekten der Stadt Morlaix scheinen eine besondere künstlerische Begabung zu haben. Am Straßenrand, auf Verkehrsinseln und an Kreisverkehren blüht es überall üppig und farbenfroh. Quer über die Stadt führt ein römisch anmutendes, hohes und beeindruckendes Viadukt, das aber wohl nicht aus der Römerzeit stammt, sondern etwas neuer sein muss, denn es wird von der französischen Bahn befahren. Eine kleine Ruhezone mit Liegestühlen rundet das Bild der gemütlichen Stadt mit den malerischen alten Häusern ab.

Für Tag 2 in Morlaix ist der Ausflug zum rund 20km entfernten riesigen Hügelgrab Barnenez vorgesehen. Morlaix liegt an einem Meeresfjord und der Weg nach Barnenez führt an der Küste entlang. Natürlich kommen wir genau dann bei der Sehenswürdigkeit an, als die Dame an der Kasse ihre Mittagspause antreten möchte und uns für eineinhalb Stunden vertröstet. Wir spazieren oberhalb vom Hügelgrab in eine Art Minidorf mit nur wenigen Häusern und enorm hohen blau blühenden Pflanzen. Eine Bewohnerin des Dorfes erklärt uns , dass es sich um Viperinen handelt als wir versuchen, die großen Pflanzen auf ein Foto zu bringen, was uns nicht richtig gut gelingt, weshalb wir auf die Bilder im botanischen Garten von Roscoff ein wenig später verweisen. Vom Strand aus haben wir einen Blick auf die Ille Noire mit ihrem Leuchtturm und das Chateau du Taureau, das in seiner Geschichte auch schon als einigermaßen ausbruchsicheres Gefängnis gedient hatte. Heute ist es Museum und als Tourist kann man sich auf einer Bootsfahrt hinschippern lassen.

Als der Ticketschalter nach eineinhalb Stunden wieder öffnet, kaufen wir uns zwei Tickets und erkunden das Gelände um das riesige Hügelgrab. Es gibt offenbar 11 Grabkammern – eine der 11 Kammern ist für Besucher zugänglich. Außer Steinen ist in der Grabkammer nichts weiter zu sehen.

Auf dem Umfeld haben sich Künstler mit Skulpturen und insbesondere auf große Platten geschriebenen Lebensweisheiten verewigt. Nach dem Besuch des mehrere tausend Jahre alten Hügelgrabs fahren wir noch ein wenig an der Küste in Richtung Norden bis zum weißen Strand von Saint Samson. Am Chateau weht die bretonische Flagge und wir wandern durch die Dünen zu einem Punkt, der durch seine Felsen am Ufer sehenswert ist. Einer der scheinbar von Riesen aufeinandergestapelten Steinen nennt sich le Coeur – das Herz – und wenn man es weiß, kann man auch einen der Gesteinsbrocken als herzförmig erkennen.

Natürlich gibt es auch hier Bunker aus dem letzten Weltkrieg. Eben überall dort, wo die Aussicht aufs Meer besonders gut ist.  Auf dem Rückweg nach Morlaix versuchen wir in einem der Küstendörfer – in Le Dourduff- zum Essen zu gehen. Das gelingt uns leider nicht, da der wirklich kleine Ort nur über ein Café verfügt, das geschlossen ist und sonst gibt es nur noch eine Firma, die mit Austern handelt aber ebenfalls geschlossen hat. Also müssen wir selbst in unserer fahrbaren Küche Hand anlegen. Ortsnamen, so nehmen wir es hier bewusst wahr, werden in französischer und bretonischer Sprache angegeben. Da wir unser Technikproblem am Rudolph scheinbar gelöst haben, brechen wir am Dienstag nach Pfingsten nicht zur Werkstatt auf, sondern fahren ein Stück zurück, um die „Rosa Granitküste“ zu besuchen, die wir ja ausgelassen hatten, um möglichst schnell nach Morlaix zu kommen.

Der Weg zurück an die Granitküste führt über St. Michel en Greve mit einem kilometerlangen weißen Sandstrand. Das Wasser ist erstaunlich warm, was wahrscheinlich daran liegt, dass es überhaupt nicht tief ist, weil der Strand nur minimal ins Meer abfällt. Wenn man also schwimmen gehen wollte, müsste man eine längere Wanderung über den Strand unternehmen, um ans Wasser zu gelangen und dann eine weitere Wanderung, um zu einer Wassertiefe zu gelangen, die auch schwimmen ermöglicht. Wir genießen den Mittag am Strand und wandern nicht zum Schwimmen.

Die als Sehenswürdigkeit empfohlene Straße, die an der Granitküste entlangführt, beginnt etliche Kilometer weiter bei Perros-Guirec. Wir fahren der sehr rauen und felsigen Küste entlang. Überall ragen riesige Felsen aus dem Wasser – es sieht ein wenig aus wie an der Algarve; nur haben die Felsen hier eine andere Farbe. Ein paar Felsen liegen auch in den Vorgärten der Häuser – die Felsen sind teilweise deutlich größer als das Haus des Gartenbesitzers – so muss man sich in der Bretagne echte Steingärten vorstellen.

Die Ortschaften, durch die wir fahren sind auch ähnlich gut touristisch erschlossen und vermarktet wie an der Algarve. Ja, die Landschaft ist beeindruckend aber der Trubel ist es ebenfalls, weshalb wir uns nicht länger in einem der belebten Orte aufhalten wollen. Wir biegen auf die Ile Grande (große Insel) ab und lassen den sehr schön gelegenen und preiswerten Gemeindecampingplatz am Wasser ein paar Euro verdienen. Der Platz liegt auf einer Halbinsel an drei Seiten von Wasser umgeben. In der Lagune liegen die Boote der Austernfischer gerade auf dem Trockenen. Den Tag beenden wir mit einem Spaziergang zu einem verfallenen Haus in der Abendsonne (zum Glück hatten wir den Spaziergang nicht auf den nächsten Morgen mit stark bedecktem Himmel verschoben) und gönnen uns zum Abendessen unsere Artischocken mit Weinsoße und dazu einen schmackhaften Cidre – der Sonnenuntergang passt perfekt dazu.

Am nächsten Tag befahren wir jetzt zum zweiten Mal die Straße nach Morlaix, weil der Weg nach Roscoff zum botanischen Garten eben über Morlaix führt. Der botanische Garten ist heute für einen Besuch gerade richtig, weil die vielen bunten Blüten das Grau des Himmels etwas lebendiger machen. Und da sind auch wieder die nahezu 4m hohen Viperinen, neben denen ein Mensch ein wenig winzig wirkt.  Diese Pflanzen würden wir auch gerne in unserem Garten haben und das scheint der botanische Garten gewusst zu haben, denn neben dem Tickethäuschen werden Pflanzen zum Verkauf angeboten. Auch Viperinen, die allerdings nicht 4 m hoch, sondern nur 10cm hoch in Blumentöpfen stecken kann man für 2 Euro pro Stück kaufen. Zwei Töpfe wandern in unser Gewächshaus – genau genommen in Rudolphs Duschraum – und dann beginnen wir mit der Erkundungstour des Gartens. Wir kommen nur sehr langsam voran, weil links und rechts des Weges derart viele Blüten an unterschiedlichen Pflanzen in allen Farben und Formen nur darauf warten, von uns fotografiert zu werden.

Und für die Nacht wählen wir einen Luxuscampingplatz mit Swimming Pool in Saint Pol de Leon, auf dem wir windgeschützt zwischen Hecken aber vom Rudolph aus mit Aussicht auf den Damm zur Sankt Anna Insel übernachten können. Obwohl ja immer noch Vorsaison ist, hat das Restaurant ‚Mary Stuart‘ geöffnet und wir lassen uns bretonisch verwöhnen. Auch hier sind wir der Meinung, dass die Freundlichkeit des Servicepersonals und der Geschmack und die Qualität des Essens die aufgerufenen Preise rechtfertigen.

Für Woche 7 unseres Ausflugs in den Westen Frankreichs sind noch zwei Sehenswürdigkeiten vorgesehen. Einmal das Dorf Meneham mit einem zwischen Felsen eingeklemmten Haus und einmal das Ensemble aus zwei Leuchttürmen und einer teilweise verfallenen Abteikirche in Saint Mathieu. In Meneham dreht sich alles um Felsen. Aus den wenigen alten Häuschen hat man Ferienwohnungen und ein Museum gemacht, in dem die Geschichte des Ortes erklärt wird. So erfahren wir, dass die Einwohner des Ortes wohl im Wesentlichen davon gelebt haben, die Wracks der an den Felsen der Küste zerschellten Schiffe zu bergen und das gefundene Hab und Gut zu verkaufen. Auch das zwischen zwei Felsen eingeklemmte Häuschen ist Teil des Museums geworden.

Obwohl der Tag eigentlich etwas trübe war, verabschiedet er sich doch wieder mit einem ansehnlichen Untergang auf dem Campingplatz de la Greve Blanche.

Am nächsten Morgen müssen wir selbstverständlich noch einmal Rast machen, um den höchsten, ganz aus Granit gebauten Leuchtturm Europas – den Phare de l’Île vierge – in unser fotografisches Reisegepäck zu packen.

Von unserm nächsten Übernachtungsplatz aus machen wir eine Wanderung auf den Klippen zum westlichsten Punkt Frankreichs – dem Pointe de Corsen. Die Ausblicke von den Klippen aufs Meer sind umwerfend schön. Jetzt sind wir tatsächlich am „Ende Frankreichs“ angekommen, wehalb die Region auch Finistere – Ende der Welt heißt. Würde man sich von hier aus auf dem Seeweg nach Westen aufmachen, würde man nach 3500km in Neufundland ankommen – dazwischen ist nur Wasser.

Fast hätte ich es vergessen: Auf dem Weg nach Saint Mathieu statten wir dem Menhir de Kerloas noch einen Besuch ab. Es handelt sich um einen fast 10m hohen Hinkelstein, der offenbar magische Kräfte hat. Reiben Männer ihren Kopf an dem Stein, dann wird die Wahrscheinlichkeit für männlichen Nachwuchs erhöht, reiben Frauen ihren Kopf am Stein, so werden sie die Führungsrolle im Haushalt behalten. Na, wer’s glaubt…

Ohne die magischen Kräfte des Hinkelsteins herausfordern zu wollen, rollen wir nach Saint Mathieu, was wir am späteren Nachmittag erreichen. Es könnte jetzt den Eindruck erwecken, dass wir jeweils weite Strecken zurücklegen, wenn wir Sehenswürdigkeiten erst am Nachmittag erreichen. Aber der Eindruck ist falsch. Die während des Tages zurückgelegten Strecken sind nicht übermäßig weit aber wir fahren eben erst am späten Vormittag los. Nicht nur zwei Leuchttürme und eine Kirchenruine sind in Saint Mathieu zu bewundern, sondern auch das Marinedenkmal Cenotaphe Saint Mathieu.

Den interessanten Tag beenden wir mit in Knoblauchöl gebratenen Garnelen.