Weiter in den Norden (Schweden 2021_4)

Immer wieder bleiben wir an Stromschnellen stehen und fotografieren die wilde Natur mit dem glasklaren Wasser (Das Wasser sieht nicht nur sauber aus, sondern ist auch wesentlich reiner als unser Trinkwasser daheim).

Auf der Wildnisstraße nähern wir uns dem Scheitelpunkt. Wir haben die Baumgrenze bei etwas mehr als 700 Höhenmetern hinter uns gelassen – hier oben gibt’s nur noch Gras und Flechten. Der Scheitelpunkt liegt im Gebiet Stekenjokk, ist 876m hoch und wir haben die Grenze nach Lappland überschritten. Viele Wohnmobile tummeln sich auf dem an sich öden Parkplatz, ein paar Steinmännchen zur Besänftigung der Trolle sind aufgeschichtet worden und in sicherer Entfernung grasen ein paar Rentiere.

Nach einer Kaffeepause geht’s wieder runter; wir passieren einen See mit vielen grünen Inselchen und Halbinselchen und auch einen Felsen mit Namen Röberg am Klimpfjell. Die Nachmittagssonne strahlt den Felsen an, er leuchtet in einem warmen Rot und jetzt ahnen wir auch, dass Röberg einfacher ‚roter Berg‘ heißt.

Gegenüber dem größten Samidorf Fatmomakke genießen wir die Abendsonne auf einem Naturcampingplatz.

Und das ist gut so, denn am nächsten Morgen wachen wir bei bedecktem Himmel und immer wieder etwas Nieselregen auf. Das hält uns aber nicht davon ab, das Samidorf zu besichtigen. In einem Gebetshaus, das den Charakter einer Minikirche hat, gibt es in der Mitte eine offene Feuerstelle – das ist in einer ‚Kirche‘ wohl eher nicht alltäglich. Die eigentliche große Holzkirche wird mit schweren eisernen Öfen beheizt.

Wir lernen, dass man aus krummen Ästen Designstühle bauen kann, wie man Samihütten mit geschälter Baumrinde wasser- und winddicht bekommt und dass ein TaufSTEIN nicht immer aus Stein bestehen muss, sondern auch mal aus einem Baumstumpf. Und wir lernen auch, dass Birkenpilze eine enorme Größe erreichen können.

Gerade noch bevor es richtig anfängt zu regnen, erreichen wir wieder unseren Rudolph und fahren zurück auf die Wildnisstraße. Der nächste Stopp liegt am Trappstegforsen; das sind Schwedens breiteste Stromschnellen, bei welchen das Wasser über zig treppenartige Stufen(daher der Name) nach unten rauscht. Es dominieren die Grautöne auf unseren Fotos und wir sind froh, dass unsere Kamera auch bei Regen noch einwandfrei funktioniert.

Rasch zurück ins Auto und einem Abzweig gefolgt, der laut Aussage eines Mannes, den wir am Stekkenjok getroffen hatten, zu einem absolut idyllischen Rastplatz bei einer Wassermühle führt. Die Idylle wäre wirklich besonders erwähnenswert, wenn es nicht kontinuierlich regnen würde. Trotzdem finden wir es anerkennenswert, dass solche tollen Rastplätze für Jedermann kostenlos zur Verfügung stehen. Und man glaubt es kaum, es gibt sogar ein Gästebuch, in das wir uns natürlich gerne  eintragen.

Auf der unbefestigten Straße zur Mühle zeigte uns ein Schild, dass wir gerade den 65. Breitengrad überschritten hatten.

Bei 66° 33 Minuten wäre der Polarkreis – also nicht mehr weit. Auf dem Rückweg folgen wir dem Hinweis, dass es in Richtung Marsfjell ein Café gibt, das auch tatsächlich geöffnet hat. Rudolph besudelt sich auf der regennassen, unbefestigten Straße gehörig – aber das gehört einfach dazu, wenn man mit uns verreist. In einem Holzhaus gibt es einen Miniladen und im nächsten Raum laden ein paar Tische inmitten von alten Kameras, exotischen Bierflaschen und allerlei anderem Tand, der museumsartig ausgestellt wird, zu einem Kaffee ein. Wir sind die einzigen Gäste, der Eigentümer erzählt uns, dass er sich mit Laden und Café und allerlei anderen Jobs sein Einkommen sichert. Der Sommer sei etwas kurz aber er fühlt sich wohl und er weist auch noch einmal auf die vorzügliche Wasserqualität in dieser Gegend hin. Vor dem Haus fällt uns noch ein Kasten mit der Aufschrift ‚Boklada‘ auf, der mit einem einfachen Riegel verschlossen ist. Drinnen finden sich jede Menge gebrauchter Bücher; der Kasten ist also praktisch die örtliche Leihbücherei.

Wir lassen uns vom schlechten Wetter nicht aufhalten und fahren beim Kraftwerk von Stalon zu einem 2km entfernten Aussichtspunkt hoch. Wie nicht anders zu erwarten, haben wir oben beste Aussicht ins Innere von Wolken – außerdem pfeift der Wind.

Also fahren wir wieder runter und übernachten auf einer Halbinsel am Fluss. Am nächsten Morgen versuchen wir das Ganze noch einmal und siehe da, der Ausblick ist wirklich sehenswert. Über viele Kilometer reihen sich Seen und Wälder aneinander – dünn besiedeltes Gebiet eben.

Es hat auch aufgehört zu regnen, so dass wir die ersten Figuren des Sagenweges, der hier auf den letzten Kilometern vor Vilhelmina zusammen mit der Wildnisstraße verläuft ansehen können, ohne besonders nass zu werden. Zum Glück sind die Figuren aus Holz, denn sonst würde die Geige spielende Schönheit, die nackt auf einem Stein im Fluss sitzt, wohl erbärmlich frieren.

Apropos frieren; 15km vor Vilhelmina, in Malgovik, wurde 1941 der Kälterekord von -53°C gemessen. Heute ist die Lage weniger kritisch, wenn auch nicht besonders angenehm; das Thermometer zeigt +7°C und es weht ein kalter Wind.

Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz stellen wir fest, dass ein Naturcamp nicht mehr existiert und landen letztendlich am Vojmsjödamm bei einer Funkstation.

Kein spektakulärer Platz aber sehr ruhig. Die Holzkirche in Stensele soll die größte Holzkirche Schwedens sein und daher planen wir statt Natur einmal eine Besichtigung. Das Kirchenschiff ist riesig – zumindest für eine Holzkirche. Mehrere gusseiserne Öfen können im Winter für angenehme Temperaturen sorgen; an sich ist das Interieur skandinavisch schlicht gehalten. Wegen Corona werden die Kirchenbesucher gebeten, nicht so nahe beieinander zu sitzen. In Deutschland wären die Plätze, die nicht benutzt werden sollen wahrscheinlich gesperrt oder mit einem Verbotsschild gekennzeichnet – in Schweden sind die Plätze, die benutzt werden dürfen mit einem Smiley gekennzeichnet. Gleiches Ziel unterschiedlich Ansätze – eine Managementregel besagt: „Make it Fun“, dann bekommst Du das gewünschte Ergebnis – genau das ist hier umgesetzt.

Stensele ist ein Vorort von Storuman. Unweit des Ortseingangs an der Auffahrt zum Stenseleberg steht eine 7m hohe hölzerne Wikingerfigur, die wohl so eine Art Türsteher  für den Ort darstellen soll.

Wir fahren zum zwei Kilometer entfernten Aussichtspunkt auf dem Stenseleberg und erklettern den dortigen Aussichtsturm. Eine Infotafel zeigt uns, dass man bis zum Marsfjell schauen kann und das ist nun wirklich sehr weit entfernt – und trotzdem kann man die Umrisse deutlich erkennen – sehe beeindruckend.

Ganz nah bei Storuman erkennen wir eine Halbinsel, die über eine Hängebrücke zu erreichen ist. Obwohl die Brücke für 25t zugelassen ist, knarzt sie sehr bedenklich als wir drüberfahren.

Der Platz für die Kaffeepause am Storumansee soll aber nicht auch Übernachtungsplatz sein. Wir wollen auf dem Stenseleberg mit Aussicht übernachten. Am nächsten Morgen ist die Aussicht fast noch besser – leider hat das Café wegen Saisonende nicht mehr geöffnet und so haken wir den Punkt „Essen und Trinken“ damit ab, dass wir eine Familie stattlicher Steinpilze für’s Abendessen ernten.

Wir wollen entlang des oberen Vindelälven in ein Seitental bis Ammarnäs fahren – weiter würde es ohnehin nicht gehen, denn in Ammarnäs endet die Straße. Mehrere Forsen (Stromschnellen) sind in unserer Karte als sehenswert eingezeichnet. Auf den ersten Forsen wird zwar an der Straße hingewiesen aber es gibt weder eine Parkmöglichkeit noch einen erkennbaren Pfad dorthin. Also knöpfen wir uns den Dunderforsen vor. Durch Matsch und über Felsbrocken kraxeln wir immer dem Geräusch des rauschenden Wassers nach und siehe da, wir erreichen die Stromschnellen.

Kurz vor Ammarnäs haben sich die Fliegenfischer in den Fluss gestellt und versuchen ihr Anglerglück.

In Ammarnäs gibt es eine Sehenswürdigkeit: Den Potatisbacken, was so viel wie ‚Kartoffelberg‘ heißt. Hier oben sind die Sommer kurz, Kartoffeln würden nicht reif werden. Also hat man sie wie Weinstöcke an den Hang eines Berges gepflanzt. Die Felsen unter der Erdschicht speichern die Sonnenwärme und lassen so die angepflanzten Kartoffeln gedeihen.

Ansonsten verlockt uns das Dorf nicht zum Bleiben und wir beschließen einige Kilometer zurück zu einem Fischercamp zu fahren. Dort strahlt die Sonne noch und es ist mehr als angenehm, draußen zu sitzen.

Als wir vor einiger Zeit am Flatruet waren, hatte mir ein Mann von einer App erzählt, die die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Polarlichtern am jeweiligen Aufenthaltsort anzeigt. Da der Himmel völlig wolkenlos ist, starte ich spaßeshalber die App und bin völlig aus dem Häuschen als sie mir für heute eine Wahrscheinlichkeit von 83% für die Beobachtung von Nordlichtern zeigt. Je später es wird umso größer werden die Wahrscheinlichkeitswerte. Banges Warten, bis es um 22.30Uhr einigermaßen dunkel ist und schon springt die App auf 100%. Raus aus dem Auto, Kamera mit Stativ aufgebaut und den Himmel abgesucht. Tatsächlich tauchen immer wieder grünliche Schlieren auf und verschwinden nach kurzer Zeit wieder um an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Mit der Kamera muss man schnell sein aber es hat geklappt; wir haben das erste Mal in unserem Leben Nordlichter live gesehen und es sogar geschafft sie zu fotografieren. Dieses Highlight ist schwer zu toppen.

Selig vor Glück gehen wir wieder aus der Kälte der Nacht in die Wärme unseres fahrenden Wohnzimmers, schlafen gut und können am nächsten Morgen wieder bei strahlendem Sonnenschein auf der Wiese am Fluss frühstücken. Auf dem Weg im Tal zurück kreuzen wir wieder die typischen  Stromschnellen von kleineren Flüssen und Rentiere kreuzen unseren Weg.

Sorsele hat sich mit der Strandpromenade wie ein Kurort rausgeputzt und wir können auch unsere Vorräte in den Supermärkten ergänzen.

Im Systembolaget, der Verkaufsstelle für alkoholische Getränke, finden wir einen argentinischen Rotwein, den wir auch von zuhause kennen. Überraschend für uns ist nur, dass er im Land für teuren Alkohol weniger kostet als bei uns zuhause. Alle anderen Getränke, egal ob Schnaps oder Wein, sind allerdings richtig teuer. Das verstehe wer will.

Die nächste Station ist Arvidsjaur, was jeweils im Winter zu hektischem Leben erwacht, wenn internationale Autofirmen die Wintertauglichkeit ihrer Fahrzeuge auf den zugefrorenen Seen testen. Jetzt macht der Ort vom Aussichtsturm gesehen einen geruhsamen Eindruck.

Wir schlagen beim Aussichtsturm unser Lager auf und werden mitten in der Nacht von Jugendlichen aus dem Schlaf gerissen, die – scheinbar einfach um uns zu stören – zeigen wie laut man in den Autos Musik machen kann und wie sehr man die Motoren aufheulen lassen kann. Da wir in keiner Weise darauf reagieren, verlieren sie nach einer halben Stunde die Lust und ziehen wieder ab.

Zufällig wache ich noch einmal um 6.00Uhr früh auf. Es ist natürlich schon taghell und ich traue meinen Augen nicht; Arvidsjaur ist unter einer Nebelbank versteckt und nur ein paar Häuschen ragen aus dem sonnenbeschienenen Nebel auf. Natürlich muss ich das fotografisch festhalten. Zufrieden und mit schönen Bildern gehe ich nach ein paar Minuten zum Weiterschlafen ins Auto zurück.

Ausgeschlafen besuchen wir noch ein aus 80 Gebäuden bestehendes Samidorf mitten in Arvidsjaur. Heute, am Sonntag, findet dort am jährlichen Versammlungstag der Sami sogar ein Freiluftgottesdienst statt.

Wir machen uns auf den Weg und nehmen uns vor, 15km Schotterpiste bis zum Trollforsen nicht zu scheuen, denn was sind schon 15 weitere Kilometer bei so vielen Schotterstraßen, die wir bislang befahren hatten.  In der strahlenden Sonne ist auch der Trollforsen wieder ein echtes Naturhighlight, so dass unsere Fotos fast schon künstlich geschönt aussehen.

Nochmals 15km Schotterpiste zurück und dann biegen wir auf die gut ausgebaute E45 in Richtung Polarkreis auf. Wir kommen durch tundraähnliche Landschaft und stutzen als wir große weiße Flächen auf den Bergen neben der Straße sehen. Das müssen wir erkunden: Wir biegen in das im Sommer extrem öde wirkende Skidorf Kabdalis ab und stellen fest, dass irgendetwas mit riesigen weißen Planen abgedeckt ist. Trotzdem das Dorf ausgestorben ist, treffen wir einen Mann, der das Rätsel löst. Unter den Folien liegen Schneeberge, die wieder zum Einsatz kommen werden, wenn die Skisaison hier am 9.Oktober beginnt – einer der frühesten Termine in Europa. Sicher sieht das Dorf mit Schnee viel einladender aus….

Am Polarkreis gibt es einen Parkplatz und ein Café, in dem man sich ein Zertifikat ausstellen lassen kann, das attestiert, das man am Polarkreis gewesen ist… wenn das Café offen hätte und nicht am Zugang ein Schild die Besucher darauf hinweist, dass wegen Saisonende bereits geschlossen ist und man sich auf den Besuch im nächsten Sommer freuen würde. Also kein Zertifikat und nur Fotos machen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass nördlich des Polarkreises die Sonne im Sommer nicht mehr unter geht und im Winter nicht mehr aufgeht. Was ist nicht wusste, ist, dass die genaue Position des Polarkreises nicht fix ist, sondern wandert, um dann in ein paar Jahrtausenden wieder an der selben Stelle zu sein. Wir haben in Jokkmok, ein paar Kilometer weiter den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht und werden voraussichtlich an der Ostküste wieder in den Süden fahren.