Expedition Thüringen

Der Campingplatz an der Lütschetalsperre im Mai 2020 ist gut besucht und alle Gäste halten sich an die vorgeschriebenen Abstandsregeln und tragen im Sanitärgebäude Mundschutz. Leider ist das Restaurant noch nicht geöffnet aber dennoch kann man Essen to Go bestellen. Wer auf die Idee kommt, den Stausee mit dem Fahrrad zu umrunden, muss sich spätestens (bei langsamer Fahrt) nach einer halben Stunde eine neue Idee einfallen lassen, denn der See ist wirklich nicht groß aber schön gelegen. Während der Umrundung könnte man natürlich eine Rast machen (wenn das auch zur Erholung nicht notwendig ist) und sich an die schier endlose Schlange aus Eishungrigen anstellen. In Wirklichkeit ist die Schlange gar nicht so lang aber durch den einzuhaltenden Mindestabstand (den einige Schlangesteher für sich sehr frei interpretieren) fühlt man sich mit der langen Reihe an geduldig Wartenden irgendwie in die Zeit kurz nach dem Krieg versetzt. Aber was soll ich sagen; letztendlich hat es sich gelohnt – das Eis war vorzüglich.

Wir planen für den nächsten Tag eine etwas größere „Reise“  – es soll nach Oberhof gehen, das durch den Wintersport schon vor vielen Jahren einen Namen erlangt hatte. Google erklärt uns, dass es mit dem Fahrrad gerade mal 6 km bis Oberhof sind, weist aber nicht darauf hin, dass der Höhenunterschied auf einem Waldweg mit lockerem Schotter bewältigt werden muss. Selbstverständlich gibt es auch einen leichter befahrbaren Weg, den wir aber erst auf der Rückfahrt kennen lernen. In Oberhof sind ein paar wenige der schmucken Thüringerwald-Häuser übrig geblieben. Ansonsten hat sich das Dorf für wenig romantische Betonzweckbauten entschieden – die Krönung ist der etwas klobig geratene Busbahnhof, der so gar nicht ins Bild passt. Das mag im Winter mit viel Schnee außenherum vielleicht deutlich schöner aussehen aber im Mai liegt eben kein Schnee mehr. Zum Glück finden wir trotzdem ein Cafe mit kleinem Garten, in dem wir uns vom vermumten Kellner die klassische Suppe aus den östlichen Bundesländern – Soljanka zum typischen Wintersportortpreis bringen lassen. Die Sportanlagen, die etwas außerhalb liegen, werden gerade renoviert. Eine Abfahrt wird planiert, die Bobbahn wird ausgebessert, in der Eishalle, in der man laut Internet in Nicht-Corona-Zeiten berühmten Sportlern beim Training zusehen kann, ist natürlich geschlossen. Noch ein paar Kilometer weiter kann man die Sprungschanzen, die wegen eines Belags, der einem Grasteppich ähnelt, zur Nutzung nicht unbedingt Schnee und Kälte brauchen, von einer rostigen Zugangstreppe aus bewundern. Die Schanzen machen ohne eine Menschenseele einen etwas traurig melancholischen Eindruck. 

Als wir zur Lütschetalsperre angereist waren, hatten wir eine Quelle entdeckt, an der Einheimische mit Kanistern das offensichtlich wohlschmeckende Wasser holten. Also machen wir uns einen Tag vor  Himmelfahrt/Vatertag, das hier Männertag heißt (was eigentlich ehrlicher ist, da es an diesem Tag nicht um väterliche Pflichten, sondern eher um Trinkfestigkeit geht) bewaffnet mit leeren Flaschen auf zur Quelle. Ein Urthüringer, dessen Kofferraum voll mit Kanistern ist, klärt uns über die Welt, in der wir hier zu Gast sind, auf. Die Politiker sind alles Verbrecher sagt er und auch in der Bevölkerung gibt es noch viele aus der ehemaligen „Horch und Guck Organisation“ (Stasi), denn wie könnte man sich sonst erklären, dass ein Campinggast bereits mehrere Wochen vor der offiziellen Öffnung  permanent auf dem Platz wohnt – sicher als geheimer Beobachter. Wir können seine Aussage nicht überprüfen – und ehrlich gesagt wollen wir das auch nicht – und daher freuen wir uns einfach über den Kontakt mit dem Urthüringer und seine Anekdoten und natürlich über das frische Quellwasser.

Der Stellplatz an der Lothramühle, die wiederum am Hohewartestausee liegt, öffnet an Himmelfahrt – also machen wir uns auf zur Lothramühle. Auch eine an diesem Tag gut besuchte Gaststätte (nur der Biergarten hat geöffnet) gibt es hier und das angebotene leckere Essen lassen wir uns im Biergarten schmecken.  

Beim Radelausflug nach Kaulsdorf dürfen wir wieder die Erfahrung machen, dass Straßen und Wege in dieser Gegend niemals eben verlaufen, sondern eher „Mittelgebirgscharakter“ haben. Umso mehr freuen wir uns am Rückweg, dass der Kiosk an der Schiffsanlegestelle kühle Getränke verkauft. Weniger erfreut sind wir über die Preise der Getränke, die trotz Selbstbedienung auch aus der Speisekarte eines 5-Sterne Hotels stammen könnten. Wahrscheinlich soll der fehlende Umsatz während der Corona-Ausfallzeit kompensiert werden und wahrscheinlich bleiben so die erhöhten Preise in der Zukunft der Einfachheit halber bestehen. Eine 1,5-stündige Rundfahrt auf dem Stausee für € 20.pro Person hatte schon vor einer halben Stunde abgelegt und heute wird auch keine weitere Luxuskreuzfahrt mehr angeboten.

Nur wenige Kilometer von der Lothramühle entfernt und an einem Panorama-rastplatz vorbei machen wir für ein paar Tage einen weiteren Zwischenstopp auf dem Campingplatz Thüringer Wald, der von ausgesprochen freundlichen Niederländern geleitet wird. Von hier aus kann man steil bergab zum Ufer der Talsperre radeln und auf der anderen Uferseite auf einem eher Wanderweg wieder nach oben zum Aussichtpunkt Herrmannsfelsen keuchen. Die Aussicht von hier oben ist aber dafür besonders schön und es duftet nach allen möglichen Wiesenkräutern.

Auf der Weiterfahrt ins nördliche Thüringen wollen wir noch „schnell“ bei einem uns bekannten Ziegenhof in Gössitz an der Talsperre Ziegenkäse kaufen. Leider ist ein Teil der von uns geplanten Route für Fahrzeuge über 3,5t gesperrt und so dürfen wir auf einem ca. 30km langen Umweg weitere interessante Regionen von Thüringen kennen lernen. Wir erreichen den Hofladen genau 3 Minuten vor der Mittagspause – das ist Timing. Mit frischem Käsevorrat und selbstgemachtem Eis geht es oberhalb der Burg Ranis in Richtung Rastenberg.

In Rastenberg, einem Kurort seit dem 17.Jahrhundert,

hat es sich ein Mann aus Baden Württemberg  zur Aufgabe gemacht, einen heruntergekommenen Zeltplatz zu einem ansprechenden Wohnmobilstellplatz zu verwandeln. Der Mann ist bereits im Ruhestand und sieht mit seiner Aufgabe die Möglichkeit, mit vielen anderen Menschen in Kontakt zu treten und so ein abwechslungsreiches Leben zu führen. Der Platz ist schön hergerichtet, die Lage ruhig und der Platzwart eine Seele von Mensch. Wir kennen den Platz schon vom Vorjahr und verbringen daher gerne die Pfingstfeiertage hier. Wiederum wollen wir mit unseren Rädern die Umgegend erkunden. Wir lernen, dass Google und die Gemeindeverwaltung von Rastenberg wohl bislang noch keinen intensiven Kontakt gehabt hatten, denn die Wege, die Google für einen Radausflug empfiehlt enthalten Treppen und die vorbildlich von der Gemeinde Rastenberg für die Touristen ausgebauten Radwege, kennt Google nicht. Aber durch diese Kontaktsperre der beiden Hüter von Wegeinformationen lernen wir idyllische Wege durch einen verführerisch duftenden Mischwald kennen. Vielleicht ist es ja auch gar nicht gut, wenn man im Vorhinein schon alles weiß denken wir uns und kommen gerade an einer aus Baumstämmen in den Berghang hineingezimmerten Terrasse vorbei. Während wir noch die Terrasse bewundern, kommt der Eigentümer und lädt uns zu einer Besichtigungstour durch seinen Garten, vorbei am ausgebauten Bauwagen und natürlich hoch auf seine Terrasse ein. Wir genießen die Freundlichkeit und Offenheit und hören gerne der Geschichte über die Renovierung des Hauses und den Bau der extravaganten Terrasse zu. Besonders beeindruckt sind wir darüber, dass der stolze Eigentümer die Terrasse ohne schweres Gerät alleine in die Waldidylle gebaut hat.

Die Offenheit der Einheimischen erleben wir auf dem nächsten Radausflug schon wieder. Der Ausflug führt uns durch den Wald ins benachbarte Bundesland Sachsen-Anhalt. Die Straße, auf der wir fahren heißt Schacht und in einem Vorgarten steht eine Bergwerkslore – beides deutet verdächtig auf Bergbau hin. Vom Bewohner eines Hauses mit parkartig angelegtem Garten erfahren wir, dass hier bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts Kali abgebaut wurde und man sogar erwägt, den Bergbau wiederzubeleben. Da der Gesprächspartner von Almut viel Lob für seinen tollen Garten bekommt, lädt er sie kurzerhand zu einem Rundgang durch den Parkgarten mit detaillierten Informationen ein.

Das nächste Gespräch wartet auf uns bei ein paar Fischteichen, wo der Wanderer laut Beschilderung „nicht erwünscht“ ist, da es sich eigentlich um Privatgrund handelt. Gerade als ich die einzige schon aufgegangene Seerose fotografieren wollte, kommt auch schon der Eigentümer und sein Enkel in einem Pickup angefahren. Unsere Erfahrung sagt uns, dass das sicher Ärger gibt … Hier ist aber alles anders – erst nach einer guten Stunden intensivem Schwatzens über alle möglichen Themen von Wanderern über geräucherte Forellen, die auch hier herrschende Wasserknappheit  bis zu Frau Merkel verabschieden wir uns von Beiden an diesem schönen Sonntag.

„Sind die Thüringer wirklich so viel kontaktfreudiger?“ fragen wir uns; denn ansonsten treffen wir schon eher häufig auf verschlossene und weniger kontaktfreudige Mitbürger. Vielleicht liegt es ja auch an der durch Corona verordneten Kontaktbremse der letzten Wochen, dass jetzt ein gesteigertes Bedürfnis besteht, nicht nur diversen Nachrichtensprechern zuzuhören, sondern sich auch mal wieder ganz echt mit Menschen zu unterhalten.

Für die letzten Tage unserer Reise haben wir Rudolstadt an der Saale ausgesucht. Auf dem Weg dorthin folgen wir einem Wegweiser zur Gedenkstätte Buchenwald. Kilometerlang umrundet die Straße das Areal, um letztendlich am Museum in einem rieseigen Parkplatz zu enden. Irgendwie ist uns dann doch nicht nach Museum; und schon gar nicht nach einem Museum, in dem die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte dargestellt wird zu Mute. Nur im Vorüberfahren fotografieren wir wenigstens den Turm, der die Gedenkstätte markiert und den Obelisken an der Zufahrtstraße.

Ein ehemaliger Bauernhof ist in Rudolstadt zu einem Stellplatz umfunktioniert worden. Knapp 10 Fahrzeuge finden hier Platz. Neben der ruhigen Lage, nur 50m von der Saale entfernt, findet sich hier die für einen Stellplatz überraschende Besonderheit, dass man Kaffee und selbstgebackenen Kuchen ebenso wie Cocktails bekommen kann. Die Betreiber sind wirklich sehr um die Gäste bemüht. Es ist wieder recht heiß geworden und so beschließen wir erst am übernächsten Tag, zur Heidecksburg zu fahren – natürlich per Fahrrad. Es brauen sich zwar schon ein paar dunkle Wolken zusammen aber noch ist es warm und trocken. Vorbei an einem Bauernhausmuseum im Park

und verzierten alten Villen auf der Straße zur Burg erreichen wir die Heidecksburg und schon kommen ein paar Tropfen herunter.

Den Burghof besichtigen wir noch fast trocken aber dann ist es doch besser, sich in einem Durchgang unterzustellen; denn zu den paar Tropfen gesellen sich ausgesprochen viele Kollegen – es beginnt zu schütten. In digitalen Zeiten kann man ja Ausmaß und Dauer des Unglücks mit Hilfe des Regenradars abschätzen. Das Regenradar zeigt uns erfreulicherweise, dass in Kürze die aus dem Westen kommenden Regenwolken vorbeigezogen sein werden und die nächsten Wolken voraussichtlich etwas südlich von uns vorbeiziehen werden. Also starten wir zur Rückfahrt in dem Moment, in dem es aufhört zu regnen. Leider haben wir die Rechnung mit exaktem Westwind gemacht, es herrscht aber leider ganz leicht nordöstlich blasender Wind und das bedeutet, dass alle heranziehenden Regenwolken speziell uns auf unserem Radlausflug besuchen. Nach wenigen Minuten sind wir durch und durch nass, die Temperatur fällt in kurzer Zeit um 10 Grad, weshalb wir in diesem Regenschauer bestimmt nicht als „Warm“-duscher bezeichnet werden können.

Selbstverständlich hört es in dem Moment zu regnen auf, in dem wir wieder bei Rudolph ankommen und  nur eine heiße Soljanka kann jetzt unsere Lebensgeister wieder mobilisieren. Da sich das Wetter aber doch nicht wieder richtig beruhigt, fällt es uns nicht ganz so schwer, am nächsten Tag, wieder die Heimreise anzutreten.